Digitales Lernen - Schlechte Noten für Berufsschulen und Betriebe

Digitales Lernen – Schlechte Noten für Berufsschulen und Betriebe

Digitale Medien gehören für junge Leute zum Alltag. Schüler, Auszubildende und Studenten wünschen sich, dass ihre Lehrkräfte diese auch mehr im Unterricht einbinden. Doch sind deutsche Bildungsinstitutionen überhaupt darauf vorbereitet?

Studie „Monitor Digitale Bildung in Deutschland“

Diese Frage stellte sich auch die Bertelsmann-Stiftung. Bei ihren Recherchen fanden die Mitarbeiter der Stiftung heraus, dass es keine eindeutigen, empirisch fundierten Antworten gibt. „Die vielzähligen, meist kleinen Teil- und Einzelstudien lassen ein verwirrendes, manchmal auch widersprüchliches Wirklichkeitsbild entstehen,“ so die Bertelsmann-Stiftung.

Um einen eindeutigen Gesamteindruck zu gewinnen, führt die Stiftung gemeinsam mit dem MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung den „Monitor Digitale Bildung in Deutschland“ durch. Die Ziele sind klar: Zum einen soll erforscht werden, welchen Nutzen das digitale Lernen an Schulen, Ausbildungsbetrieben und Universitäten überhaupt hat. Zum anderen steht die Frage nach der bisherigen Nutzung im Fokus.

Berufsausbildung im Blickfeld

Dazu befasste sich der „Monitor Digitale Bildung“ zunächst mit der dualen Berufsausbildung. Im vergangenen Jahr wurden so bundesweit mehr als 2.000 Auszubildende, Berufsschullehrer, Ausbilder und politische Stakeholder zum digitalen Lernen an Berufsschulen und in Ausbildungsbetrieben befragt. Die Bertelsmann-Stifung entwickelte dazu verschiedene Fragebögen. Diese beinhalten Fragen wie:

  • Welche Verbreitung haben digitale Lerntechnologien in der beruflichen Ausbildung und wie werden sie eingesetzt?
  • Welche Impulse können digitale Technologien zur Verbesserung des Lernens und für neue didaktische Konzepte in der Ausbildung geben?
  • Wie kann digitales Lernen benachteiligte Lerner fördern?

Internetnutzung sehr gut, Kreativität mangelhaft

Die Ergebnisse des „Monitors Digitale Bildung“ lassen sich in vier Hauptschwerpunkten zusammenfassen. Zunächst stellt die Studie fest, dass 97 Prozent aller Berufsschullehrer das Internet nutzen, um mit den Azubis zusammen Lerninhalte zu recherchieren. Allerdings fehlt dort die Innovation, sind die hauptsächlich genutzten Seiten dazu Google und Wikipedia. Anstelle des Lehrvideos setzen die Lehrer heute auf YouTube, die PowerPoint ersetzt Folien und Overheadprojektor. Der Einsatz der digitalen Medien lässt Innovation und Kreativität vermissen. Nur ein Viertel aller Lehrer bietet seinen Schülern die Chance, mithilfe von Tools produktiv zu werden und zum Beispiel einen Blog zu erstellen, auf denen Ausbildungsinhalte präsentiert werden. „Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Bedarfe an fachorientiertem Content an Berufsschulen deutlich spezieller sind als beispielsweise an allgemeinbildenden Schulen,“ hält die Studie fest.

Diese Situation spiegelt sich auch in den meisten Betrieben wider. Web-basierte Trainings oder virtuelle Klassenräume werden lediglich von knapp 20 Prozent der Ausbilder genutzt. Auch eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung von 2014 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Weiterhin stellt der „Monitor Digitale Bildung“ fest, dass der Fokus bei den Lernanwendungen hauptsächlich auf MS Office-Produkten liegt.

Hauptschüler mit digitaler Affinität

Das zweite Hauptfeld der Studienergebnisse mag den ein oder anderen überraschen. „Geringer qualifizierte Auszubildende sind digital affiner,“ schreibt die Bertelsmann-Stiftung. Denn während nur knapp 20 Prozent der Lehrlinge mit Abitur digitale Lernformen als „sehr motivierend“ empfinden, ist die Anzahl der Azubis mit Haupt- oder Realschulabschluss doppelt so hoch. Gleiches gilt für Selbstlernprogramme wie Apps oder Lernspiele und beim eigenständigen Erstellen von Web-Content wie Videos oder Blogbeiträgen. Der „Monitor Digitale Bildung“ hält fest: „Offenbar sind digitale Lernmedien und Angebote besonders gut dazu geeignet, gering qualifizierte Jugendliche zu interessieren, zu motivieren und ihnen infolge bessere Teilhabe- und Erfolgschancen im beruflichen Ausbildungssystem zu eröffnen.“

Des Weiteren fiel bei der Auswertung der Ergebnisse auf, dass Auszubildende im ersten Lehrjahr sich mit mehr Begeisterung der Digitalisierung zuwenden als ihre älteren Kollegen. Lehrlinge aus den Berufsgruppen des Bauhandwerks, der kaufmännischen Serviceleistung und mit naturwissenschaftlicher Zentrierung liegen dabei deutlich über dem Durchschnitt.

Benachteiligten Azubis Chancen bieten

Im dritten Schwerpunkt stellt die Bertelsmann-Stiftung aber fest, dass digitale Medien bisher kaum zugunsten benachteiligter Azubis eingesetzt werden. „Dabei bieten gerade diese viele Chancen zur gezielten Unterstützung lernschwächerer oder auch lernstärkerer Auszubildender, von Menschen mit körperlichen Handicaps oder von Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist,“ so die Stiftung. Zwei Drittel der Berufsschulen nutzen zwar gerne Videos, um komplexe Sachverhalte zu veranschaulichen. Und mehr als die Hälfte der Ausbildungsbetriebe setzt auf sogenannte „selbstbestimmte Lernformen“. Aber eine gezielte Unterstützung benachteiligter Lernender durch digitale Tools oder eLearning-Programme wurde bisher weder in Berufsschulen noch in Ausbildungsbetrieben in nennenswertem Umfang durchgeführt.

Auch wenn benachteiligte Azubis nur eine zahlenmäßige Minderheit bilden, würde die Bereitstellung entsprechender Werkzeuge ein erhebliches Verbesserungspotenzial des Berufsschul-Unterrichts bedeuten. Auch die Ausbildung an sich würde an Attraktivität für diese Zielgruppen gewinnen. Davon könnten vor allem momentan unpopuläre Ausbildungszweige profitieren und an Image-Aufschwung gewinnen.

Zu hohe Kosten, zu wenig WLAN

Den vierten Themenkomplex des „Monitors Digitale Bildung“ bilden schließlich die Herausforderungen des digitalen Lernens. Lehrer sehen die Kostenfrage schwierig: Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, dass die Lerninhalte zu teuer sind, in den Augen von über 60 Prozent ist sogar die Anschaffung von entsprechender Hard- und Software nicht realisierbar. Gleiches gilt für die Wartung von Geräten und Anwendungen. Auch das WLAN steckt im Vergleich zu Firmen und Privathaushalten noch in den Kinderschuhen. Nur jede dritte deutsche Berufsschule verfügt über ein ausreichendes WLAN-Netzwerk. In knapp der Hälfte aller Schulen ist überhaupt keines vorhanden.

Etwas besser schätzen die teilnehmenden Ausbilder die Situation ein. Knapp 40 Prozent schätzen die Kosten für Anschaffung und Wartung der Geräte als zu hoch ein. Dass die Lerninhalte zu teuer seien, gaben immerhin nur knapp zwei Drittel an.

So kommt es, dass dort, wo digitale Lerninhalte genutzt werden, die Schüler ihre eigenen Geräte mitbringen müssen. Während immerhin 65 Prozent der Berufsschulen über PCs und 45 Prozent über interaktive Whiteboards verfügen, greifen die meisten Schüler für eine schnelle Recherche immer noch auf ihr privates Smartphone zurück (70 Prozent).

Defizite erkennen und verbessern

Nach dieser beinahe vernichtenden Bilanz hält der „Monitor Digitale Bildung“ ein paar Lösungsvorschläge parat: „Alte didaktische Ansätze zu digitalisieren reicht nicht aus. Gutes digitales Lernen in der Berufsschule und im Betrieb kann nur gelingen, wenn Lehrkräfte und Ausbilder sich in der Anwendung digitaler Mittel sicher fühlen und ihre Möglichkeiten – didaktisch und methodisch – kennen.“

Neben der Entwicklung von Strategien ist vor allem der Ausbau einer digitalen Infrastruktur nötig. Eine solide WLAN-Ausrüstung sollte die Grundlage digitalen Lernens bilden. Denn ein methodisch-didaktisch einwandfreies Webinar führt trotzdem auf allen Seiten zu Frust, wenn es aufgrund mangelnder technischer Ausstattung nicht durchgeführt werden kann. Dazu ist auch die Aus- und Weiterbildung kompetenten Personals entscheidend.

Nicht zuletzt sollten Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe näher zusammen arbeiten, um den Einsatz digitaler Medien zu optimieren. So kommen sie ihrem Auftrag nach, den Azubi bestmöglich auf das Arbeitsleben vorzubereiten.