Befindet sich die Gewerkschaft 4.0 in der Krise oder ist sie bereit für die Zukunft?

Befindet sich die Gewerkschaft 4.0 in der Krise oder ist sie bereit für die Zukunft?

Wenn man im Netz nach der Arbeit der Zukunft sucht, kommt man nicht umhin, Beiträge über die Industrie 4.0 zu lesen. Dabei scheint die Diskussion um den Dienstleistungsbereich verschwindend gering.

Derzeit machen die Dienstleistungen 70 Prozent der Gesamtwertschöpfung in der Bundesrepublik aus und 75 Prozent der Beschäftigten arbeiten in diesem Sektor. Ein Grund mehr, sich diesem Bereich gesondert zu widmen, da die Wertschöpfungsketten und die Geschäftsmodelle sich im Vergleich zur Industrie besonders verändern werden. Derzeit können wir nur mutmaßen, wie diese Veränderung konkret aussieht – welche Bereiche werden wegfallen, welche neu entstehen?

Unternehmen werden sich auf die neuen technologischen Möglichkeiten einstellen und diese nutzen müssen, um wettbewerbsfähig zu sein. Mitarbeiter müssen sich diesen Gegebenheiten anpassen, sich mit Digitalisierung auskennen, sich für die spezifischer werdenden Berufe spezialisieren und flexibel sein. Gleichzeitig können die Festangestellten mehr Forderungen bzw. Ansprüche stellen, zum Beispiel bei den Arbeitsbedingungen, der Arbeitsplatzausstattung und Gesundheitsvorsorge sowie bei Qualifizierungen.

Aber wo bleiben in all den Publikationen die Interessensvertreter der Arbeiter? Gewerkschaften scheinen keinen Einfluss und keinen Blick für diese Entwicklungen zu haben – die Gewerkschaft 4.0 ist also eine, die nicht mehr besteht? Mit diesem Ansatz haben wir begonnen, uns dem Thema anzunehmen. Allerdings zeigt sich ein ganz anderes Bild, wenn man sich auf Gewerkschaftstagungen umschaut und direkt deren Publikationen liest. Gewerkschaften haben schon zeitig angefangen, sich mit den Prozessen auseinanderzusetzen.

Aufgaben und Ziele der Gewerkschaft

Vertretung gegenüber Unternehmen und Arbeitskampf

Die Gewerkschaft kümmert sich in erster Linie, darum die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber den Arbeitgebern zu vertreten. Dazu gehören das Abschließen von Tarifverträgen, das Durchführen von Verhandlungen mit dem Arbeitgeber, die Organisation von Arbeitskämpfen und die enge Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.

Aber wie können die Aufgaben zukünftig geregelt werden, wenn es keinen Hauptstandort mehr gibt, wo alle Mitarbeiter versammelt arbeiten? Besonders hier wird es zukünftig schwieriger. Wenn die Verhandlungen für einen Tarif scheitern, kann der Arbeitskampf beginnen. Doch wie soll ein „Kampf“ geführt werden ohne einen zentralen Ort? Überspitzt formuliert könnten die Mitarbeitenden vor der eigenen Haustür streiken oder vor den Gemeinschaftsbüros – doch wer erhört sie dann? Zudem hat jeder Mitarbeiter andere Bedürfnisse, die besonders im Büro 4.0 Berücksichtigung finden (können). Wird es möglich sein, einen Tarifvertrag abzuschließen, der diesen Wünschen gerecht werden kann?

Unterstützung bei rechtlichen Fragen

Gewerkschaften unterstützen und beraten aber auch ihre Mitglieder bei arbeitsrechtlichen Fragen und vertreten sie vor den Arbeits- und Sozialgerichten. Die Arbeitsrechte unterscheiden sich in den verschiedenen Ländern. Für Europa haben wir ein gemeinsames Arbeitsrecht und die Ländergesetze. Für die Durchsetzung ist das Sozial- und Arbeitsgericht zuständig, welches sich am Tätigkeitsort des Arbeitnehmers befindet. So kann es sein, dass für die zukünftige dezentrale Arbeit unterschiedliche Rechtsprechungen für Angestellte mit gleichen Aufgaben gelten. Hier muss die Frage gestellt werden, ob ein globales Arbeitsrecht möglich ist, um dieser Entwicklung zu begegnen?

Einfluss auf Politik

In der Politik sind Gewerkschaften dafür verantwortlich, ihre Forderungen nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen einzubringen und durchzusetzen.

Gewerkschaften in der Krise

Mit diesen tief greifenden Veränderungen beschäftigen sich die Gewerkschaften und entwickeln dafür ein Bewusstsein. So fordern sie eine Teilhabe und Mitbestimmung am Prozess 4.0 und empfinden dies weniger als Bedrohung für ihre eigene Existenz. Dagegen bereiten Konflikte in der Organisation ein Problem. Nach 1945 wurden die Lehren aus dem Krieg gezogen und eine Einheitsgewerkschaft entstand. Der DGB ist heute geschwächter denn je. Auf der einen Seite sind 70 Jahre technologische Weiterentwicklung vergangen, auf der anderen Seite hat sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse geändert. Zukünftig werden wir also wahrscheinlich zwei Einheitsgewerkschaften haben. Die Gewerkschaft der Industrie und die Gewerkschaft der Dienstleistung. Während die Industrie über die Jahre relativ stabil in ihrer Zusammensetzung blieb und auch festgeschriebene Arbeitsorte hat, ist es mit der Dienstleistung schwieriger bestellt. Neue Dienstleistungsbereiche wurden in den letzten Jahren erschlossen, sodass sich immer neue Vertreterstrukturen entwickeln mussten und die Aufgabenbereiche der Arbeitervertreter immer größer werden. Die Organisation entwickelt sich ständig neu. Daher bleibt hier abzuwarten, wie sich Dienstleistungsgewerkschaften in Zukunft weiter diesen Herausforderungen stellen.

Aber auch die Mitglieder der Gewerkschaften schwinden immer mehr mit unterschiedlichen Ursachen. Bis auf wenige Bereiche schaffen es die Gewerkschaften kaum noch, ihre Mitglieder für umfangreiche Streiks zu mobilisieren und zu gewinnen.

Dienstleistung 4.0

Die Herausforderung der Dienstleistung 4.0 wird es sein, sich zeitnah mit den ändernden Anforderungen vertraut zu machen und Maßnahmen systematisch umzusetzen. Dazu müssen Qualitätsstandards gesetzt werden, die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter geschützt und eine entsprechende Arbeitsorganisation und –platz geschaltet werden. Die Bildung und Weiterbildung muss ausgebaut und gefördert werden. Wichtiger denn je werden Tarifverträge und das Festsetzen und Einhalten von sozialen Standards.

Die Schwierigkeit für Gewerkschaften wird es sein, mit weniger Mitgliedern und der Grenzenlosigkeit, welche die Digitalisierung bietet, arbeitsfähig zu bleiben. Einige Probleme wird auch die Zukunft so schnell nicht lösen. Zum Beispiel, dass Unternehmen die Gewerkschaften „ausbluten“ lassen wollen sowie die Arbeit in Projekte aufgesplittert und outgesourct wird, um so im Ergebnis weniger für die Arbeitskraft zu bezahlen. Daher werden Lücken im Mindestlohn gesucht, die Diskriminierung der Menschen vorangetrieben oder die Schwarzarbeit möglich.